Vom reichen Mann und armen LazarusEs war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.
Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren und begehrte sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel; dazu kamen auch die Hunde und leckten seine Geschwüre.
Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben.
Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß.
Und er rief: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen.
Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet und du wirst gepeinigt.
Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.
Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.
Abraham sprach: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören.
(Evangelium des Lukas, 16,19-29)
Fast 9 Minuten lang kniete der weiße Polizist auf dem Hals des schwarzen George Floyd. Die Hände in den Hosentaschen ignorierte der Beamte die Hilferufe des Farbigen: „Ich kann nicht atmen“. Ungerührt schauten weitere Polizisten zu, wie ein Mensch – letztlich nur wegen seiner Hautfarbe – unter der willkürlichen Macht eines Weißen zu Tode kam. Neun Minuten ungerührte, herzlose Gewaltausübung und Teilnahmslosigkeit.
Wie viele Wochen, Monate oder Jahre Lazarus vor der Tür des Reichen lag, erzählt der Evangelist nicht. Der Reiche nimmt keine Notiz von der Not vor seiner Tür. Die Geschwüre des Lazarus, sein Hunger, die streunenden Hunde, die seine Wunden lecken, interessieren den Mann im Schutz des Hauses nicht. Er gibt sich den Freuden des Lebens hin.
Er zeigt seinen Reichtum und seinen Überfluss in schamloser Weise, lässt es sich gut gehen und genießt seine Macht. Das Leid des Lazarus bleibt draußen vor der Tür. Im Palast des Reichen ist davon nichts zu sehen. Ungerührt und herzlos schwelgt der Reiche in Purpur und kostbarem Leinen, in Essen und Trinken, während der Arme Hunger und Schmerz, Schmutz und Ekel leidet.
Beide sterben – und da drehen sich die Verhältnisse um. Lazarus wird von den Engeln direkt in Abrahams Schoß getragen. Der Reiche wird in ein Grab gelegt und wacht in der Hölle wieder auf. Und nun leidet der Reiche die Qualen des Lazarus.
Wir müssen nicht darüber spekulieren, ob alle Reichen in die Hölle kommen und wer der ewigen Verdammnis ausgeliefert werden wird. Die Geschichte ist ja für die Lebenden – also für uns – erzählt. Und da gibt es zwei Botschaften:
Jesus erzählt die Geschichte, weil er uns Augen und Ohren öffnen will. Besitz und Macht sind immer Gaben, die in Liebe und Barmherzigkeit, in Recht und Gerechtigkeit eingesetzt werden sollen. Die Gefahr ist, sich von der Macht hinreißen und sich im Reichtum genug sein zu lassen. Darüber verschließen sich die Herzen vor der Not des Nächsten.
Die andere Botschaft gilt den Armen und Notleidenden. Der Name Lazarus bedeutet: „Gott kommt zu Hilfe“. Gott kniet nicht auf den Armen, sondern er legt sich dazu. Er nimmt selbst den Schmerz und den Tod auf sich und stellt sich auf die Seite der Hungernden, Fremden, Gefangenen. Er selbst lässt sich anrühren vom Leid der Menschen.
Barmherzigkeit und Gerechtigkeit haben die Propheten gepredigt. Liebe und Versöhnung hat uns Jesus Christus geschenkt. So werden uns die Augen und Ohren geöffnet und das Herz weit gemacht.
(Pfr. Dr. Gottfried Greiner, Gottesdienstinstitut der ELKB)