Sei mir ein starker Hort, zu dem ich immer fliehen kann, der du zugesagt hast, mir zu helfen; denn du bist mein Fels und meine Burg.
Ich lese gerne die tägliche Losung (übrigens unkompliziert erreichbar unter https://www.losungen.de/die-losungen/) - den Tag mit einem Wort aus der Bibel zu beginnen oder auch zu beenden, ist eine gute geistliche Übung, gerade dann, wenn das normale Gemeindeleben brach liegt.
Als ich heute den Losungstext für Freitag sah, blieb ich als erstes am „Hort“ hängen – ein Wort, das in unserem aktuellen Leben eigentlich nur noch als Aufenthaltsort für Kinder nach der Schule in Verwendung ist und nicht mehr als Zufluchtsort für Verfolgte und Schutzbedürftige. Eine nette Ironie, dass zur Zeit die Horte bundesweit geschlossen sind und die Kinder zuhause in den Familien betreut werden...
Einen solchen Hort, eine Bleibe zu haben, zu der man in Zeiten der Bedrängnis fliehen kann, ist eine großartige Sache. Viele von uns haben eine Wohnung, eine Familie (sei sie groß und präsent oder doch zumindest per Skype, Zoom oder andere technische Spielereien erreichbar) – eine leibliche Zuflucht ist uns in unserem Sozialstaat meist sicher. Mit der geistig-geistlichen ist es da vielleicht schon etwas schwerer.
Martin Luther hat eines seiner bekanntesten Lieder auch an dieses Bild gehängt: „Ein feste Burg ist unser Gott“ (EG 362) heißt es da. Sich Gott als einen Rückzugsort vor Verfolgung vorzustellen, entspricht vielleicht nicht mehr ganz den aktuellen Gepflogenheiten, aber als Bild hat es eine gewisse Stärke. Wenn wir im alltäglichen Leben entmutigt, entnervt, gestresst oder wirklich traurig, verlassen und verzweifelt sind, dann will Gott uns eine solche Burg sein: nicht klein und kuschelig-warm, sondern groß und massiv: Hilfe vor dem Ansturm der Welt, um in der Rhetorik der damaligen Zeit zu bleiben. Mauern, an denen die Unsicherheit und auch die Trauer sich abarbeiten, aber nicht erklimmen können.
Wir haben alle Sorgen, wie es nach der Lockerung der gegenwärtigen Ausgangsbeschränkungen weitergehen soll. Auch als Kirche stehen wir vor der Herausforderung, unsere Gottesdienste und Andachten zu den Menschen zu bringen, die wir nicht mehr direkt erreichen können. Der reale Rückzugsraum in den Kirchen ist dem der ruhigen Viertelstunde zuhause gewichen. So ist Gemeinschaft schwerer herzustellen. Dabei stärkt doch Gemeinschaft stärkt die Einzelne*n.
Gemeinsam sehen wir im Gottesdienst nach vorne an die Wand auf das Kreuz und sehen in ihm eben diesen Hort. Wenn wir uns nicht mehr in den Kirchen treffen können, dann können wir uns diese Gemeinschaft zumindest wieder stärker ins Gedächtnis rufen, auch, um nicht mit Angst den Tag zu beenden, sondern mit Hoffnung: denn uns ist zugesagt, in Gott eine Hoffnung zu haben, die unseren Alltag übersteigt: Karfreitag geschieht immer wieder, aber eben auch der Ostersonntag mit der Auferstehung und der stärkenden Zusage „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zu der Welt Ende“ (Mathäus 28,20b)
Die Psalmen bieten eine Fülle von Bildern, die von Gott erzählen – nicht umsonst hat sich die kraftvolle Sprache dieser alten Texte so gut gehalten. Das Bild von Gott als rettender Burg, als Hort, als Zufluchtsort ist eines der stärksten, finde ich. Gut, sich daran zu erinnern, dass manchmal Mauern auch etwas Gutes sein können!
(Christian Weller)