Liebe Leserinnen und Leser,
da ich in den Pfingstferien mit meiner Familie im Allgäu war, hatte ich endlich mal wieder die Gelegenheit zum Wandern. Wie immer habe ich mich vorm Losgehen gefragt: Was nehme ich mit? Was packe ich ein? Vor mir stand ein großer Rucksack mit viel Platz – das Problem war aber natürlich, dass ich alles, was ich einpackte, auch tragen musste. Nachdem meine Töchter noch jung sind, gab es zwei zusätzliche Schwierigkeiten: Erstens wird schnell mal etwas nass oder dreckig – man braucht also viele Wechselklamotten und so. Zweitens können sie fast nichts selber tragen und ich muss eher froh sein, wenn ich sie selbst nicht auch tragen muss...
Natürlich habe ich bei jeder Tour zu viel eingepackt und allerhand den Berg rauf und runter geschleppt, was ich dann abends unbenutzt und zerknautscht wieder aus dem Rucksack geholt habe. Ich hatte zu viel Gepäck dabei. Beim Wandern mit Kindern mag es besonders deutlich werden, beim Wandern im allgemeinen jedoch auch. Vielleicht gilt es für das ganze Leben: Ich schleppe etwas mit mir herum, was ich eigentlich nicht brauche. Manches Gepäck ist mehr Belastung denn Hilfe...
In ihrem Buch Mein Ich-Gewicht erzählt Maja Storch von einer alten Frau, die am Ende ihres Lebens konstatiert:
Das Leben ist mit einer Reise zu vergleichen. Ich habe meine Lebensreise mit zu viel und zu schwerem Gepäck unternommen. Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich im Frühjahr früher anfangen, barfuß zu laufen und im Herbst später damit aufhören.
Wenn sie ihr Leben noch einmal leben könne, so die alte Dame, würde sie vieles anders machen: einfacher, lockerer, unbeschwerter. Sie würde weniger mit sich herumschleppen.
Manchmal bewundere ich andere Eltern, die für alle Eventualitäten etwas dabei haben – einen Snack für zwischendurch, eine Ersatzhose, ein Pflaster, ein Handtuch,… Und gerade seit ich Kinder habe versuche ich natürlich auch beim Packen schon auf dem Schirm zu haben, was man vielleicht brauchen könnte. Andererseits haben gerade die vergangenen Monate mich daran erinnert, dass ich nicht auf alles vorbereitet sein kann; ja dass es ein Stück weit anmaßend ist überhaupt zu denken, ich könne mich auf alles vorbereiten. Als Pfarrer gerate ich ständig in Situationen, für die ich weder ausgebildet noch vorbereitet bin und oftmals in Situationen, für die die beste Ausbildung und die akibischste Vorbereitung nicht ausreichen würden. Es geht weniger darum, alles vorherzusehen und genau das richtige dabei zu haben als vielmehr zu improvisieren mit dem, was ich kann und habe.
Das Bild des Rucksacks für die Lebensreise beinhaltet für mich noch mehr. Was habe ich in meinem Rucksack? Was ist mir aufgeladen worden? Was schleppe ich mit mir herum? Was bringe ich mit? Was nehme ich mit? Schließlich kann Gepäck nicht nur Belasten, sondern es kann auch sehr hilfreich sein. Anderes wiederum nehme ich überhaupt nicht deswegen mit, weil ich es brauche, sondern deswegen, weil es mir wichtig ist.
Noch eine Anekdote zu überflüssigem Gepäck: Auf einer mehrtägigen Gruppenwanderung im Lechquellgebirge erzählte uns der Wanderführer, ein Teilnehmer einer früheren Wanderung hätte mal unheimlich viel Gepäck dabei gehabt. Nach zwei Tagen musste er einsehen, dass er zu viel und zu schwer gepackt hatte. Doch was sollte man tun – mitten in den Bergen. Das Gepäck mochte zu viel und teils überflüssig sein, doch einfach zurücklassen konnte man es ja auch nicht. Also wurde das Gepäck des Mannes unter allen anderen aufgeteilt. Beim Auspacken fand sich über das hinaus, was höchstens im Notfall bei einer Bergwanderung von Nöten sein könnte auch ein Föhn. Was ist euer Föhn?, fragte uns der Wanderführer. Was ist mein Föhn?, fragte er sich selbst.
Was brauche ich? Was nehme ich mit? Was lasse ich zurück? Diese Fragen sind bei einer Bergtour wichtig. Und sie sind auch für das normale Leben wertvoll. Ganz im Sinne der alten Dame aus besagten Buch. Damit ich mich auf meiner Lebensreise nicht mit zu viel Gepäck abplage. In den vielen Bibelgeschichten von Aufbruch und Neuanfang sind viele Menschen mit erstaunlich – teils erschreckend – wenig Gepäck unterwegs (wie Noomi und Ruth). Andererseits sind sie auch unbelastet und manche lassen nur zu gern Belastendes zurück (wie die Israeliten bei der Flucht aus Ägypten). Und in jedem Fall sind viele davon inspirierende Beispiele dafür, dass es weniger auf das ankommt, was man im Rucksack hat, und mehr auf das, was sie im Kopf und Herzen mit sich tragen.
(Pfarrer Steffen Barth)