Wir feiern heute an Christi Himmelfahrt, dass Jesus Christus zu Gott, seinem Vater, in den Himmel aufgefahren ist. Aber wo ist denn eigentlich dieser Himmel? Wo ist er nach der Himmelfahrt, nachdem er nicht mehr auf der Erde oder von den Jüngern gesehen werden kann? Wo ist er wirklich hin und wo ist seine Herrlichkeit zu bestaunen?
Viele Kinder - und auch so mancher Erwachsener - haben eine eigentlich recht naive Vorstellung von dem Verbleib Jesu: da gibt es doch den sichtbaren Himmel. Und der wird dann mit dem Himmel Gottes gleichgesetzt. Himmel - das ist der Ort, wo Gott auf seinem Thron sitzt. Um ihn herum sind die Engel, die pausenlos Loblieder singen. In der naiven Vorstellung - und auch in vielen Bildern und Karikaturen - ist der Himmel ein Raum über den Wolken. Gott, Jesus und auch unsere Verstorbenen schreiten über diese Wolken und blicken ab und an hinab auf die Erde, um zu sehen, was wir da unten so machen.
Aus der Naturwissenschaft wissen wir, dass über uns eine Reihe von Schichten sind - unsere Atemluft, dann unterschiedlichste Wolkenformationen, , auch das berühmte Ozon. Wir kennen den Aufbau und wissen, dass über unserer Erde nach diesen Schichten der Raum unseres Sonnensystems, unserer Galaxie und schließlich die unendliche Weite des Weltalls kommt. Darin ist unsere Erde gleichsam ein kleines Staubkorn.
Im griechischen Text des Neuen Testaments steht für Himmel das Wort "ouranon". Es kann einerseits den sichtbaren Himmel meinen, andererseits steht es aber auch für den Bereich Gottes, den wir an Himmelfahrt besonders suchen. Das ist nicht dasselbe. Im griechischen Text des Neuen Testaments begegnet der Bereich Gottes uns fast immer im Plural. Gott ist im Bereich der Himmel. Es ist eine biblische Grundüberzeugung, dass der Himmel Gottes nicht übereinstimmt mit dem sichtbaren - und auch nicht mit einer fernen Welt in einer entlegenen Galaxie. Gott wohnt nicht auf Wolken, um von dort auf uns hinabzusehen. Er schwebt nicht mit den Winden um die Erde, umgeben von seinen Engeln. Also ist Gottes Himmel nicht im Bereich der Wolken und nicht im Weltall. Aber wo ist er dann?
Ein Spötter sagte einmal zu einem Rabbi: "Ich gebe dir ein Goldstück, wenn du mir sagst und zeigst, wo Gott wohnt!" Der Rabbi erwiderte: "Ich gebe dir fünf Goldstücke, wenn du mir sagst und zeigst, wo Gott nicht wohnt!"
Die Bibel unterscheidet zwischen dem Bereich der Welt, der von Gott geschaffen wurde und dem Bereich Gottes, also dem Bereich, in dem er wohnt. Seit dem Sündenfall gehört der Bereich der Welt nicht mehr selbstverständlich zum Bereich Gottes. Die Welt ist aus dem Bereich Gottes herausgefallen, in ihr herrschen Sünde und Tod.
In Jesus hat Gott dann sichtbar die Grenze zwischen seinem Bereich und dem Bereich der Welt überschritten. Gott wurde Mensch und brachte so ein Stück seines Bereichs vor die Augen der Menschen. Jesus lebte als Mensch und Gott in beiden Bereichen. Das gilt auch für den Tod am Kreuz und für die Auferstehung. Immer noch erschien Jesus seinen Jüngern in dieser Welt.
Mit der Himmelfahrt hat das nun ein Ende. Jesus kehrt zu seinem Vater zurück. Er lebt nicht mehr als Mensch unter Menschen. Er erscheint nicht mehr als Auferstandener. Sein Bereich ist wieder der Bereich Gottes. Aber - und das ist das wunderbare an Himmelfahrt - Jesus hat gezeigt, dass der Bereich Gottes nicht oder nicht mehr fern vom Bereich der Menschen ist. Der Himmel ist auf die Erde gekommen. In Jesus wird es deutlich. Seine Jünger haben es verkündet. Der Bereich Gottes ist wieder zum Bereich der Welt gekommen.
Noch immer ist der Bereich der Welt noch nicht im Bereich Gottes aufgegangen. Das geschieht erst am Jüngsten Tag bei der Wiederkunft Jesu Christi. Aber schon jetzt gehören wir in Christus zum Bereich Gottes. In ihm und durch ihn haben wir schon jetzt Anteil am Himmel. Durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen haben wir die Vergebung der Sünden. Durch sein Werk sind wir gerechtfertigt und können an ihn glauben.
Zwar ist Jeus in den Himmel aufgefahren und ist nun nicht mehr leiblich bei seinen Jüngern, aber Jesu Anwesenheit in dieser Welt ist nun wesentlich größer und spürbarer. Es gibt keine Ort dieser Erde, wo Jesus nicht wohnt und wo er uns nicht erreicht. Himmelfahrt ist also weniger ein Abschied als ein Ankommen, ein Ankommen überall in unserer Welt.
Wir können ahnen, aber kaum begreifen, wo Jesus jetzt ist. Unser Verstand ist viel zu klein und zu sehr in den Bedingungen dieser Welt verhaftet, als dass wir auch nur erahnen mögen, wo das uneingeschränkte Reich Gottes ist, in dem Jesus mit den Seinen beim Vater lebt. Wir wissen theoretisch und können es doch nicht wirklich denken, dass im Reich Gottes die Grenzen von Raum und Zeit aufgelöst sind. Deshalb wird die Frage nach dem "wo" keine Antwort erhalten. In weltlichen Kategorien lässt sich die Frage, wo Gott, Jesus und unsere Verstorbenen sind, nicht beantworten. Aber wir dürfen durch Jesu Himmelfahrt erkennen, dass all unsere Verstorbenen bei in Gott geborgen sind. Wir dürfen sicher sein, dass das, was wir Menschen begraben, nicht alles ist, was bleibt. Wir dürfen sicher sein, dass Jesu Gebet ständig erfüllt wird: "Vater, ich will, dass wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe die Welt gegründet war (Johannes 17,24).
(Pfarrerin Regine Weller)