Advent ist eine Zeit des Wartens, die sich in der Geburt Jesu‘ Christi erfüllt. Doch wie vollzieht sich diese Zeit des Wartens? Wir können uns während dieser Wartezeit auf das an einem Ort statisch verharrende heiligende Geschehen zubewegen. Das ist eher die Sicht eines Menschen, der im Landesinneren lebt.
Oder wir sehen uns an einer Mole stehen. Wir blicken hinaus aufs Meer, sehen am Horizont ganz vage ein undefinierbares Etwas, das immer näher auf uns zukommt. Es erweist sich als Schiff:
Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein’ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.
Das Schiff ist Gott in einer Person, der uns seinen Sohn als kostbare Fracht bringt. Gott Vater, die Liebe, ist das Segel. Doch ein Segel ohne stützenden Mast ist nutzlos: Dieser ist der Heilige Geist. Im 6-er Takt zu Beginn des Liedes wiegt sich das Schiff sanft in den leichten Wogen.
Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.
Vollendet wird die Trinität durch Gottes Sohn, der sich als Anker auf der Erde absetzt:
Der Anker haft’ auf Erden,
da ist das Schiff am Land.
Das Wort will Fleisch uns werden,
der Sohn ist uns gesandt.
Die Geburt Jesu‘ wäre zwar unter etwas unglücklichen Begleitumständen abgelaufen, aber insgesamt bedeutungslos, wenn sie nicht im Kreuzestod und in der Auferstehung ihre Vollendung gefunden hätte:
Zu Bethlehem geboren
im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren;
gelobet muss es sein.
Und wer dies Kind mit Freuden
umfangen, küssen will,
muss vorher mit ihm leiden
groß Pein und Marter viel,
danach mit ihm auch sterben
und geistlich auferstehn,
das ewig Leben erben,
wie an ihm ist geschehn.
Auch Johann Sebastian Bach hatte in seinem „Weihnachtsoratorium“ diesen Zusammenhang quasi von hinten herein hergestellt. In den Chorälen „Wie soll ich dich empfangen?“ und „Nun seid ihr wohl gerochen“ greift er aphoristisch andeutend auf die Melodie von „O Haupt voll Blut und Wunden“ zurück. Hören Sie sich auf YouTube eine Aufnahme des Chorals „Wie soll ich dich empfangen?“ mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben an:
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Ab Sekunde 38 des folgenden Videos hören Sie nach dem Rezitativ „Nun seid ihr wohl gerochen“ aus der Dresdner Frauenkirche. Kraftvolle, frohe Trompeten blicken bereits hinter den Karfreitags-Choral und deuten die Auferstehung an:
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„O Haupt voll Blut und Wunden“ wurde von Paul Gerhardt auf Basis des „Salve caput cruentatum“ des Mystikers und Zisterziensermönchs Arnulf von Löwen (1200-1250) verfasst. Etwas später lebte und wirkte in der gleichen Region zwischen Elsass, Rheinland und dem heutigen Belgien der Dominikanermönch und Mystiker Johannes Tauler (1300-1361) Beide hatten sich nie kennengelernt, entwickelten aber ein ähnliches Gedankengut. Tauler hatte das Original zu „Es ist ein Schiff geladen“ verfasst. Als vorreformatorischer Prediger sah er in der Heraushebung Mariens eine wichtige Komponente eines Weihnachtslieds. Diese Strophe fehlt im evangelischen Gesangbuch:
Maria, Gottes Mutter,
gelobet musst du sein.
Jesus ist unser Bruder,
das liebe Kindelein.
Auch ein englisches Lied greift das Bild der Ankunft des Messias über das Meer auf. „I saw three ships“, das in mehreren Melodievarianten existiert, ist seit dem 17. Jahrhundert bekannt:
I saw three ships come sailing in (Ich sah drei Schiffe heransegeln)
On Christmas day, on Christmas day; (am Weihnachtstag)
I saw three ships come sailing in
On Christmas day in the morning. (am Morgen des Weihnachtstags)
Von dem Lied existieren viele Strophen. Einige erläutern, dass in den Schiffen der Retter der Welt kommt. Und auch dieses Schiff steuert Bethlehem an:
O they sailed into Bethlehem, (Oh, sie segelten nach Bethlehem)
On Christmas day, on Christmas day,
O they sailed into Bethlehem,
On Christmas day in the morning.
Im Gegensatz zu „Es kommt ein Schiff geladen“ weicht dieses Lied den Gedanken der Trinität etwas auf: Gott ist in seiner Dreieinigkeit kein einzelnes Schiff mehr, dessen Komponenten die Dreifaltigkeit widerspiegeln, sondern eine Art Flottenverband, der im Konvoi segelt. Dies entspricht wohl den Lebenserfahrungen einer Seefahrernation. Wenn schon irdische Güter wie Baumwolle oder Tabak, aber auch Gold und Edelsteine aus Angst vor Piraten nicht unbegleitet über die Meere transportiert wurden, dann kann Gott doch nicht so naiv sein, seinen Sohn als höchstes Gut mutterseelenallein durch unbekannte Gefilde auf die Erde zusteuern zu lassen.
Die Freude über die Geburt findet auf drei Ebenen statt: auf der himmlischen, der äußerlich-irdischen und inneren im Menschen:
And all the angels in Heav’n shall sing, (Und alle die Engel im Himmel singen)
On Christmas day, on Christmas day;
And all the angels in Heav’n shall sing,
On Christmas day in the morning.
And all the bells on Earth shall ring, (Und all die Glocken auf Erden läuten)
On Christmas day, on Christmas day;
And all the bells on Earth shall ring,
On Christmas day in the morning.
And all the souls on Earth shall sing, (Und all die Seelen auf Erden klingen)
On Christmas day, on Christmas day;
And all the souls on Earth shall sing,
On Christmas day in the morning.
Erstaunlich ist auf den ersten Blick das „in the morning“. Während nach unserer kontinentalen Überlieferung Jesus um Mitternacht geboren worden war, trifft hier das Schiff erst am Morgen ein. Das erklärt sich auch aus der Tatsache, dass ein Schiff nächtens mit seinen Positionsleuchten des 17. Jahrhunderts nicht gesehen werden kann, also kein Ankunftserlebnis stattfindet. Und vor allem: Engländer feiern Weihnachten erst am 25. Dezember am Morgen. Und gefeiert wird in der letzten Strophe allumfassend, auch weil sich das Schiff offenbar zügig auf die Erde zubewegt:
Then let us all rejoice amain, (So lasst uns alle mit ganzer Kraft – mit voller Fahrt voraus! - frohlocken)
On Christmas day, on Christmas day;
Then let us rejoice amain,
On Christmas day in the morning.Von den Liedern gibt es mehrere Einspielungen. Hier meine Empfehlungen:
Max Reger hat die Melodie vertont, der Hessische Landesjugendchor interpretiert:
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Der Jugendchor „Lutherana Karlsruhe“ singt ein modernes Arrangement von Thomas Kledeck:
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Sehr pompös ist die sinfonische Aufnahme des „Mormon Tabernacle Choir“:
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Eine Spitzenaufnahme des King’s College Cambridge von 2010:
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Ich wünsche Ihnen gesegnete Weihnachten!
Dr. Niko Firnkees